Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften

Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften

Organisatoren
DFG-Forschungsprojekt Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.09.2021 - 29.09.2021
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Von
Amelie Mittlmeier, Abt. Wissenschaftsgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Begriffe „Kooperation“ und „Konkurrenz“, die im Zentrum des gleichnamigen DFG-Forschungsprojekts stehen, gehen leicht über die Lippen – besonders in der von den Beteiligten der Tagung verwendeten Abkürzung KOKO. Das Spannungsverhältnis zwischen Konkurrenz und Kooperation in den Wissenschaften im Zeitraum der 1970er- bis 1990er-Jahre wirft jedoch viele Fragen auf: Wie lässt es sich erfassen und beschreiben? Wann konkurrieren Wissenschaftler:innen um Ressourcen, Auszeichnungen und Publikationen, wann arbeiten sie zusammen, um ein Ziel gemeinsam zu erreichen? Und unter welchen Umständen schlug Kooperation in Konkurrenz um und umgekehrt? Sieben Doktorand:innen widmeten sich auf der Abschlusskonferenz der ersten Phase (2017-2021) des gleichnamigen DFG-Forschungsprojekts diesen Fragen.

Zum Einstieg in die Konferenz blickte DARINA VOLF (München) ins Weltall, auf die letzte Phase des Apollo-Sojuz-Testprojekts (ASTP). Das ASTP endete 1975 bildgewaltig mit dem Handschlag des amerikanischen Astronauten Thomas Stafford und des sowjetischen Kosmonauten Alexej Leonov. Bis in die Gegenwart symbolisiert dieser Handschlag Austausch und Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen, selbst über die Grenzen des Eisernen Vorhangs hinweg. Das fünfköpfige Astronauten-Team bekundete noch Jahre nach dem Abschluss der Mission öffentlich seine freundschaftlichen Beziehungen und trug dadurch wesentlich zur Wahrnehmung einer erfolgreichen Kooperation bei. Dies verdecke jedoch, so Volf, die Schwierigkeiten, die die Zusammenarbeit zwischen den USA und der UdSSR begleiteten. In ihrem Vortrag beleuchtete sie zwei Faktoren, die die Mission von sowjetischer Seite aus maßgeblich erschwerten. Zum einen war dies die Geheimhaltung, die trotz der Öffnung des sowjetischen Raumfahrtprogramms ein großes Hindernis für die Zusammenarbeit darstellte. Zum anderen beeinträchtigte die sowjetische Bürokratie die Arbeitsabläufe der Beteiligten mitunter erheblich. Beispielsweise traten verschiedene Akteur:innen mit falscher Identität auf, wodurch Verhandlungsprobleme nicht über persönliche Kontakte gelöst werden konnten. Hinzu kamen komplizierte Genehmigungsprozesse, die zu Verzögerungen führten – sehr zum Ärger der amerikanischen Partner:innen. Volf führte aus, wie die US-Amerikaner sich im Verlauf der Mission zunehmend an die Praktiken des Informationsaustausches der sowjetischen Seite anpassten und selbst begannen, Wissen zurückzuhalten. Die sowjetische Seite bediente sich umgekehrt auch an Strategien der US-Amerikaner, vor allem in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Dieses Wissenstransfers ungeachtet scheiterte eine langfristige Kooperation jedoch daran, dass kein nachhaltiges Vertrauen zwischen den Partnern aufgebaut werden konnte. Stattdessen war die Zusammenarbeit von Frust und Unzufriedenheit geprägt und wurde nur, so Volfs These, von dem Prestige aufrechtgehalten, das mit der Mission verknüpft war. Mit dem Bild des Handschlags wurde dieses Versprechen eingelöst, doch ging damit gleichzeitig auch das Momentum der Kooperation verloren.

LIZA SOUTSCHEK (München) diente das in Laxenburg bei Wien ansässige Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) als Sonde, um die deutsch-deutsche Kooperation und Konkurrenz seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zu beleuchten. Das Institut wurde 1972 gegründet mit dem Ziel, auf der Basis (computergestützter) Simulationsmodelle wirtschaftliche, ökologische und verkehrstechnische Probleme systemanalytisch zu erforschen. Die Popularität von Planungs- und Kontrolltechniken trug dazu bei, dass die Gründung des Instituts sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland begrüßt wurde. Laut Soutschek spielten darüber hinaus weitere Faktoren eine wichtige Rolle bei der Realisierung des IIASA: So war ein wichtiges Motiv hinter der Beteiligung am IIASA, dass die deutschen Forschenden im internationalen Vergleich nicht zurückfallen wollten. Gleichzeitig war man am gegenseitigen Austausch interessiert. Das Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konkurrenz prägte insofern die Entwicklung des Instituts entscheidend mit. Doch barg es immer auch die Gefahr der Eskalation, wenn es etwa darum ging, sich auf einen Standort für das Institut zu einigen oder wichtige Posten zu besetzen. Laut Soutschek konnte eine Zusammenarbeit nur dadurch aufrechterhalten werden, indem die Akteur:innen bei solchen Entscheidungen auf Gleichgewicht und Augenhöhe setzten. Es wurde stets vorsichtig austariert, welche Parteien sich wann durchsetzen durften, um Konfrontation und Konflikt zu vermeiden. Nach der Wende geriet dieses Verhältnis aus dem Gleichgewicht, da nun die politischen Systeme der beiden deutschen Staaten das Geschehen im IIASA zunehmend beeinflussten.

Während in den Beispielen der ersten Beiträge die Fronten des Kalten Krieges Einfluss auf das kompetitive Verhalten der Akteur:innen ausübten, arbeitete ANNEMONE CHRISTIANS-BERNSEE (Köln) die Trennungslinien heraus, an denen Konkurrenz die Geschichte der kooperativen Industrieforschung in Europa prägte. Sie stellte das Forschungsprogramm EUREKA vor, das, angestoßen durch wirtschaftliche Initiativen, 1985 in Paris begründet wurde. Zu diesem Zeitpunkt noch mit einer Beteiligung von (nur) 17 Staaten, stieg die Anzahl der Mitglieder im Laufe der kommenden Jahre stetig an, insbesondere nachdem Anfang der 1990er-Jahre jegliche Beitrittslimitierungen aufgehoben wurden. Entscheidend für die Expansion des Projekts – mit gegenwärtig 41 Mitgliedern – waren wirtschaftspolitische und unternehmensstrategische Faktoren, so Christians-Bernsee. Ein weiterer Faktor für diesen Beteiligungsanstieg lasse sich aus Perspektive der europäischen Kooperationsgeschichte erkennen: EUREKA stellte dank seiner losen institutionellen Organisationsform und deren besonderer Integrationsdynamik einen Gegenentwurf zu anderen Forschungsinitiativen dar. Von Beginn an traten allerdings zwischen den Mitgliedern Spannungen auf, insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland und zwischen den nationalen Vertretern und der EG-Kommission. Letztere nahm EUREKA als unnötige Konkurrenz und Störfaktor wahr. Dieser Sicht stellte sich Christians-Bernsee entschieden entgegen und betonte, dass EUREKA nicht als Rückschlag für die Entwicklung der EG gesehen werden könne, sondern vielmehr als Beispiel für eine hidden integration. So lasse sich aus wirtschaftshistorischer Perspektive erkennen, wie das Projekt etwa die Entwicklung von gemeinsamen Leitlinien beförderte (z.B. im Bereich der Eigentumsrechte) und gerade kleine und mittelständische Unternehmen unterstützte. Statt Konkurrenz wurde dadurch eine Stärkung der europäischen Zusammenarbeit bewirkt.

Den Blick weg von der europäischen Bühne hin zur Bundesrepublik lenkte VANESSA OSGANIAN (München). Im Zentrum ihres Vortrags stand die Zusammenarbeit der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, die sich Anfang der 1960er-Jahre bildete. Osganian wandte sich drei Aspekten zu: dem Zustandekommen der Kooperation zwischen den führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen, deren Festigung sowie deren Destabilisierung. Ihr zufolge waren es in erster Linie wissenschaftspolitische Entwicklungen, die die einzelnen in der Allianz vertretenen Wissenschaftsorganisationen (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Westdeutsche Rektorenkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz) zur Kooperation drängten. Als der Bund Mitte der 1950er-Jahre in die Forschungsförderung einstieg, beschlossen die führenden Wissenschaftsorganisationen, ihrer Stimme durch einen „informellen“ Zusammenschluss mehr Durchschlagkraft zu verleihen. Zwar waren deren Führungszirkel bereits zuvor gut untereinander vernetzt, doch schweißte die Existenz eines zentralen Ansprechpartners auf politischer Ebene (1962 wurde das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung gegründet) die Organisationen weiter zusammen. Zentral für die Kooperation sei gewesen, dass die Akteur:innen sich durch gemeinsame Ziele verbunden sahen. Diese Ziele galt es gegenüber externen Konkurrenten durchzusetzen, wobei sich die Allianz nach außen hin geschlossen zeigte. Im Fall, dass die Ziele der einzelnen Parteien innerhalb der Allianz inkompatibel waren, sei eine Haltung der Konfliktvermeidung auszumachen, so Osganian. Eine solche „Konsens-Kultur“, wie sie von einem Tagungsteilnehmer bezeichnet wurde, lasse sich daran erkennen, dass die Allianz zu Themen und Fragen keine Stellung bezog, bei denen innerhalb der Organisation Ansprüche miteinander konkurrierten. Die regelmäßigen Treffen des Gremiums führten zu einer Festigung der Kooperation; dennoch lassen sich Phasen der Destabilisierung ausmachen, wie beispielsweise in den 1990er-Jahren, als der Förderanteil von Bund und Ländern durch die Erweiterung der Blauen Liste stark anstieg. Dies führte zu Veränderungen bestehender Hierarchien und einer Infragestellung der gemeinsamen Ziele.

MAGNUS ALTSCHÄFL (München) bot einen Gegenentwurf zu dem verbreiteten „Aschenputtel-Narrativ“, als der die Geschichte des Forschungsstandorts Martinsried häufig erzählt werde. Statt einer Entwicklung „von der Kuhweide zum Gene-Valley“ sei die Entstehung des Standorts das Ergebnis einer „Trickle-down-Konkurrenz“, das heißt, dass miteinander verbundene Konkurrenzen die globale mit der regionalen Ebene verknüpften. So führte das Bestreben des deutschen Wissenschaftsrats, die biochemische Forschung in Deutschland nicht in einen Rückstand gegenüber der internationalen Konkurrenz zu bringen, dazu, dass der Rat den Ausbau der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) seit 1960 vorantrieb. Dadurch verschärfte sich der Mangel an Räumen in der Münchner Innenstadt, um die die Universität unter anderem mit den drei lebenswissenschaftlichen Max-Planck-Instituten (MPI) konkurrierte. Den Konflikt versuchte die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) durch Kooperation zu lösen, so Altschäfl, indem sie die drei Institute in einem Institut für Biochemie bündelte. Das verlieh dem neuen Institut nicht nur Gewicht gegenüber seinen Konkurrenten innerhalb der MPG, es förderte darüber hinaus die interdisziplinäre Zusammenarbeit unter den Wissenschaftler:innen. Dieser Faktor war auch bei der Standortbestimmung des gebündelten Instituts entscheidend: Die Nähe von Martinsried zu Großhadern, dem Standort des neuen Uni-Klinikums, verweise auf das kooperativ ausgerichtete Vorgehen des neuen Instituts. Doch gestaltete sich die Zusammenarbeit in Martinsried nicht immer reibungslos, auch hier konkurrierte man um Raum, Status und Fördermittel. „Trickle-down-Konkurrenzen“ bestimmten ebenfalls die Entstehung eines Genzentrums der LMU in Martinsried, der zweiten Einrichtung, der sich Altschäfl in seinem Vortrag zuwandte. Erneut lasse sich beobachten, wie ein globaler Wettstreit – nun auch unter wirtschaftlichen Akteur:innen – regionale Entwicklungen mitbestimmte.

Konkurrenz griff ANNA KLASSEN (Jena) auf diskursiver Ebene auf, die die Debatten zu Chancen und Risiken der Gentechnologie in der Bundesrepublik der 1970er- und 80er-Jahre vorstellte. Sie zeigte, wie dieser Diskurs unterschiedliche Phasen durchlief und von unterschiedlichen Akteur:innen mitgestaltet wurde. Als einen wichtigen Wegbereiter für den Diskurs zu Risiken und Chancen der Gentechnologie bezeichnete Klassen die von dem US-amerikanischen Biochemiker Paul Berg organisierte Asilomar Conference on Recombinant DNA (1975). Weil man mögliche Risiken in der Forschung zur rekombinanten DNA für schwer abschätzbar hielt, wurden Regularien gefordert. Dies wiederum brachte Fragen nach der Wissenschaftsfreiheit auf und spaltete die Wissenschaftler:innen in Befürworter und Gegner der neuen Technologie. Während in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre auf internationaler Ebene in den USA und GB erste Richtlinien erschienen, diskutierte man in Deutschland darüber, wer für das Problem zuständig sei. Nachdem eine Kommission der DFG die Verantwortlichkeit beim Bund sah, richtete dieser einen Ad-hoc-Ausschuss ein, der Leitlinien zum Umgang mit Risiken in der Genforschung ausarbeiten sollte. Neben epistemischen Fragen gesellten sich in die Diskussion zunehmend administrative Aspekte: Statt bundesdeutsche Sicherheitsrichtlinien zu erstellen, debattierte man über Haftungsfragen, die Beteiligung der Öffentlichkeit und mögliche Kontrollinstanzen. Dadurch, so Klassen, rückten wissenschaftliche Fragen zunehmend in den Hintergrund der Debatten.

Den Abschluss der Tagung bildeten vier Ausblicke in die zweite Phase des KOKO-Forschungsprojekts (2020-2024). CHRISTOFFER LEBER (München) historisiert Kooperation und Konkurrenz mit Blick auf die Entstehung der Science Studies als Beobachtungskategorien. DAVID IRION (München) untersucht anhand der EU-Rahmenprogramme die Begründung einer gemeinsamen europäischen Forschungspolitik. Dem komplexen Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation geht JOHANNES SCHUCKERT (München) am Beispiel von Sydney Brenner und Walter Bodmer nach, den zentralen Gestaltern des Human Genome Projects in Großbritannien. Im Zentrum von SÖNKE HEBINGs (Aachen) Projekt steht die Entwicklung unternehmerischer Zukunftsforschung, die von Kooperation und Konkurrenz maßgeblich mitbestimmt wurde.

Konferenzübersicht

Kärin Nickelsen (München): Einführung

Darina Volf (München): Der steinige Weg zum Handshake im All

Liza Soutschek (Augsburg): Kooperation und Konkurrenz im IIASA. Die deutsch-deutsche Dimension des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse

Annemone Christians-Bernsee (Köln): Business Knows Best!? Die europäische Forschungskooperation EUREKA in den 1980er-und 1990er-Jahren

Vanessa Osganian (München): Die Allianz zwischen Kooperation und Konkurrenz: Thesen zum Zusammenwirken der Wissenschaftsorganisationen

Magnus Altschäfl (München): Warum Martinsried? Entwicklungsdynamiken eines Forschungsstandorts

Anna Klassen (Jena): Welche Chancen – welche Gefahren? Der frühe Diskurs über die Regulation der Gentechnologie in der Bundesrepublik (1970er-Jahre)

Perspektiven der zweiten Phase: Kurzvorträge von Christoffer Leber (München), David Irion (München), Johannes Schuckert (München) und Sönke Hebing (Aachen)


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